Abstract:
Die Bauten und Projekte Aldo Rossis sind gleichzeitig in drei Welten zuhause, in Zeichnungen oder Aquarellen, in Modellen und der Realität. in den Zeichnungen werden sie immer wieder neu arrangiert, immer wieder neu skizziert, hier treten stets dieselben Charaktere auf – Rossis berühmte Strandhäuschen, Fabrikschlote, Laubenganghäuser – auch wenn die jeweiligen Bauprojekte in der Realität längst abgeschlossen und fertiggestellt sein sollten. Die Kraft seiner Skizzen und ihre kräftigen Farben hat Rossi auch auf seine Modelle übertragen. Sie führen ebenfalls ein künstlerisches Eigenleben. in seinem Studio in der Mailänder Via Maddalena hingen Modelle wie Bilder an der Wand, darunter der Entwurf für das Rathaus in Muggiò. Es gibt Hinweise darauf, dass Rossi, der die Collagen Joseph Cornells sehr geschätzt hat, an seinen Modellen ähnlich viele Szenarien durchprobiert hat, wie mit den imaginären und realen Bauten, die seine Zeichnungen bevölkern. Das Rathaus-Modell war nicht immer auf einem kräftig türkisfarbenen Sockel montiert. Eine Fotografie, die vor 1982 entstanden ist, zeigt es im „Teatrino Scientifico“, einem 1978 von Rossi entwickelten Architekturmodelltheater, mit einer Treppe im Vordergrund, die einen ganz anderen Maßstab hat und in dem realen Wettbewerbsgelände gar keinen Sinn ergeben würde. Den Hintergrund bildet ein von Rossi gemaltes Bühnenbild mit früheren Entwürfen. So, wie es nun in die DAM-Sammlung gelangt ist, geben Entwurf und Modell ebenfalls Rätsel auf. Das Ensemble aus dem Kegelstumpf, der den Ratssaal aufnehmen sollte, und den beiden kammartigen Verwaltungsbauten ist weder in sich symmetrisch, noch an den Kanten der Modellplatte ausgerichtet. Die beiden kleinen Figuren (realisiert wären sie riesig) sind der Schlüssel zum Verständnis. Rossi hat sie dem Gemälde Gli Archeologi des surrealistischen Künstlers Giorgio de Chirico entnommen. Auch in de Chiricos Bildern haben perspektivisch leicht verschobene, rätselhaft kühle Architekturansichten einen wichtigen Auftritt und erzeugen eine Stimmung, in der das Vertraute in eine pittura metafisica kippt. Die Häuserzeilen im Modell des Studentenwohnheims in Chieti sind um ein zentrales Gemeinschaftshaus angeordnet, sodass eine seltsam zwanghafte, ebenfalls an de Chirico erinnernde Platzsituation entsteht. Das Motiv des Kegelstumpfes wird hier zum Fabrikschornstein transformiert. Die Häuser selbst hingegen nehmen das Motiv des italienischen Strandhäuschens auf, das als Rossis private Urhütte unzählige Male in seinen Arbeiten auftaucht. (Franziska Stein) aus: Oliver Elser, Peter Cachola Schmal: Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie, Ausstellungskatalog DAM, Zürich 2012